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„Der Mensch ist ein Exilant“: Daniel Krochmalnik, Hochschule für Jüdische Studien, zur Situation von Geflüchteten aus historischer Perspektive

Veröffentlicht am: 27. Juni 2017

Fast eineinhalb Stunden lang hörte man kaum ein Räuspern im Audimax der Katholischen Stiftungsfachhochschule, so gebannt lauschten die Zuhörer Daniel Krochmalnik bei seinen Beschreibungen von Exilsgeschichten im Alten Testament. Sie tauchten ein in die Schilderungen von Vertreibung und Heimatsuche in der Bibel und ihrer Rezeption in Talmud und Koran. Gerade die kenntnis- und detailreichen Bezüge zwischen Judentum, Christentum und Islam zeichneten den Vortrag aus.

Als profunden Kenner christlicher und jüdischer Traditionen und Überlieferungen stellte Susanne Sandherr, Professorin für Systematische Theologie an der Hochschule, Daniel Krochmalnik vor. Sie schilderte ihn als  ausgewiesenen Elie- Wiesel- Forscher und Herausgeber der Werke Wiesels und der Schriften von Moses Mendelssohn.  Krochmalnik, der in München Philosophie und Judaistik studiert hat und in Heidelberg habilitierte, hat dort eine Professur für jüdische Philosophie, jüdische Geistesgeschichte und jüdische Religionspädagogik an der Hochschule für Jüdische Studien inne.

Mit dem „Adam - Displaced Person“ schlug Krochmalnik den Bogen von der biblischen Geschichte zur Shoah: „Displaced Person“ war die Bezeichnung für die vielen jüdischen Heimatlosen nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die die nationalsozialistischen Lager überlebte hatten.  Unter ihnen befanden sich auch seine Eltern, polnische Juden, die in einem Lager für Displaced Persons in Feldafing nahe München unterkamen. Wenn er heute als Jude Flüchtlinge erlebe, so erinnere er sich an diese eigenen Erfahrungen.

Exil und Domizil als DNA der Bibel

Dieser Verlust von Heimat ist zugleich eine menschliche Urerfahrung, die der jüdischen, christlichen und muslimischen Überlieferung zugrunde liegt. Schon die Urgeschichten im Alten Testament erzählen von Vertreibung – angefangen bei Adam und Eva über Abraham oder Mose. Das Thema des Exils und der Sehnsucht nach Heimat ziehe sich durch das gesamte Alte Testament, beginnend mit der Vertreibung aus dem Paradies. Alle weiteren Geschichten setzten die Erfahrung von Adam fort, schilderte Krochmalnik. Etwa Kain, der nach dem Brudermord im Exil eine Stadt gründet, oder Abraham, der noch als 75ig-Jähriger von Gott aufgefordert wird, aus seinem Land zu ziehen. Abraham, so Krochmalnik, sei aus  Sicht der jüdi-schen Tradition wie auch der christlichen und des Korans ein Glaubensmigrant.

Anschaulich und höchst lebendig beschrieb Krochmalnik, wie in der Bibel Personen und Geschehnisse mehrmals und auf unterschiedliche Art und Weise erzählt werden und welche Interpretationen daraus erfolgen. Immer wieder griff er zum Alten Testament, um entsprechende Passagen und Namen in der Ursprungssprache Hebräisch vorzulesen. Kenntnisreich spannte er den Bogen von den Überlieferungen des Alten Testaments bis zu ihrer Rezeption in Talmud und Koran.

Es waren diese Bezüge, die einen wichtigen Beitrag zum gegenseitigen Verstehen von Judentum, Christentum und Islam leisteten. So zeigte Daniel Krochmalnik bedeutsame Verflechtungen von christlicher, jüdischer und islamischer Tradition auf.  Die gemeinsame Erfahrung der Spannung zwischen Exil und Domizil, erlösendem Aufbruch und gewaltsamer Vertreibung, betonte Krochmalnik, sei es, die uns heute verpflichte, Menschen auf der Flucht aufzunehmen.

Sich lernend auf einen Trialog dieser Religionen einlassen war die Hauptbotschaft Daniel Krochmalniks: „Es sind dieselben Namen, Geschichten, die sehr ähnlichen Arten, auf Geschichten einzugehen.“ Die biblische, philosophische und wissenschaftliche Überlieferung der Religionen sei sehr ähnlich. Gerade das böte die Möglichkeit, Brücken zu schlagen zu vermeintlich Fremden, die heute zu uns nach Europa kommen.

Begeistert äußerten sich die Zuhörer im Anschluss an den Vortrag über das Füllhorn, das Krochmalnik soeben eröffnet hatte. Die rege Diskussion im Anschluss zeigte das große Interesse an einer interkonfessionellen und interreligiösen Verständigung.

Katja Wippermann

Bild: © KSFH Benediktbeuern